Traurig sein

Ein gesundes Gefühlsleben haben bedeutet, das ganze Gefühls- und Erlebensspektrum, das uns das Leben anbietet oder manchmal auch zumutet, zulassen zu können und es zu erfahren. Dazu gehört auch das Traurig-sein.

Traurigkeit drückt sich in einer Bandbreite von unterschiedlichen Erlebensweisen aus. Es kann auf der einen Seite des Spektrums als ein Anflug von Traurigkeit erlebt werden – vielleicht wie eine Art Melancholie. Und man kann auf der anderen Seite des Spektrums so schmerzlich von etwas getroffen sein, dass es sogar körperlich wehtut. Der Auslöser der Traurigkeit spielt bei der Intensität des Gefühlserlebens natürlich eine wichtige Rolle. Aber es ist vor allem die innere Beziehung, die ich zum Erlebten habe. So kann es einen Menschen trauriger machen, wenn er von einer Person, die ihm sehr wichtig ist, bei einer Verabredung versetzt wird, als wenn er vom Tod eines flüchtigen Bekannten hört. Traurigkeit ist subjektiv, weil Traurigkeit ein Gefühl ist.

Wenn junge Menschen erstmals verliebt sind und die Erfahrung machen, wiedergeliebt zu werden, sind sie überglücklich.

Trennt sich nach kurzer Zeit großer Verliebtheit einer der PartnerInnen, dann ist die Traurigkeit beim verlassenen PartnerIn mutmaßlich so groß wie vorher die Verliebtheit war: Der oder die Verlassene hat Liebeskummer.

Doch meistens vergeht die Traurigkeit auch wieder, weil Traurigkeit ein Gefühl ist, das, wie alle Gefühle, kommt und geht.

Manchmal aber bleibt die Traurigkeit und geht nicht wieder weg. Doch der Ausdruck der Traurigkeit verändert sich. Das Weinen will vielleicht nicht mehr aufhören…  Oder die Tränen sind zwar versiegt, aber stattdessen haben Betroffene an nichts mehr Freude. Sie ziehen sich sozial zurück und haben nicht selten auch Mühe, ihren Alltag zu bewältigen.

In diesem Fall handelt es sich nicht mehr um Traurigkeit, sondern um eine depressive Episode, die man ernstnehmen muss. Eine Depression erkennt man an unterschiedlichen Symptomen, die nicht immer gemeinsam auftreten müssen. Dazu gehören u.a. Schlafprobleme, insbesondere morgendliches Früherwachen, stundenlanges Grübeln und sich Sorgen und Ängstigen, Appetitlosigkeit oder auch übermäßiger „Schokoladenhunger“, Verlust an Lebensfreude, Rückzug von Freunden und Bekannten, sich krank fühlen und häufiger am Arbeitsplatz krank melden u.a. Bis hin zu ersten Gedanken daran, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Spätestens dann ist professionelle Hilfe unverzüglich notwendig. Das Anonyme Sorgentelefon/ TelefonSeelsorge kann allererste Krisenhilfe anbieten, wenn kein anderer AnsprechpartnerIn zur Verfügung steht. Der Gang zum Haus-oder Fachärztin (Psychiater, Neurologin) sollte schnell folgen, um weitere notwendige Schritte miteinander zu besprechen und die Diagnose abzuklären, damit es schnell wieder aufwärts geht. Doch am besten lässt man es erst gar nicht so weit kommen und holt sich professionelle ärztliche oder/und psychologische Unterstützung, sobald man erste depressive Symptome an sich bemerkt. Eine Psychotherapie oder eine psychologische Beratung können helfen. Auch die zusätzlich ärztlich verordnete und ärztlich begleitete Gabe von Medikamenten wie beispielsweise Antidepressiva unterstützen, seelisch zu gesunden und die Lebensfreude wiederzugewinnen.

Prüfungsangst

Wer kennt sie nicht: die Prüfungsangst?

Klassenarbeiten, Schulzwischenprüfungen und Abschlussprüfungen, Führerscheinprüfungen, Aufnahmeprüfungen, Ausbildungs- und Studienprüfungen, Berufliche Abschlussprüfungen, aber auch: Bewerbungsgespräche, Castings bei der Wohnungssuche, Beurteilungsgespräche mit den Vorgesetzten, Präsentationen im Kollegenkreis oder vor Kunden usw.

Zwar werden die Prüfungen mit dem Älterwerden weniger, doch gibt es auch viele Lebenssituationen, die wie eine Prüfung erlebt werden: Konfliktreiche Gespräche mit Angehörigen und Freunden, soziale Situationen, die man als unangenehm erlebt. Menschen, denen man ausweicht, weil man sich in ihrer Gegenwart in irgendeiner Weise unwohl fühlt. Und auch neuartige Situationen, die einen beunruhigen, weil man sie (noch) nicht ausprobiert hat.

Prüfungsangst ist also weit verbreitet und auch bis zu einem gewissen Grad völlig normal und sogar hilfreich, solange sie sich im Rahmen vom sogenannten „Lampenfieber“ bewegt. Viele Schauspieler sagen sogar, dass eine Aufführung nur gut wird, wenn man vorher Lampenfieber hat, denn nur dann könne man seine beste Leistung mobilisieren.

Doch was tun, wenn die Prüfungsangst über das Maß von Lampenfieber hinausgeht?

Wenn Sie so überwältigend groß wird, dass man sich der Prüfungssituation nicht stellen kann und wenn, dann nur unter größten Anstrengungen. Wenn sie verbunden ist mit starken körperlichen und physiologischen Symptomen wie Erbrechen, unkontrollierbaren Durchfällen, Lähmungserscheinungen, extremem Zittern, Schwitzen, bis hin zur Panikattacke… Manchmal ist die Prüfungsangst sogar verbunden mit einem kompletten Blackout vor oder in der Prüfung.Doch: Prüfungsangst ist kein Schicksal! In vielen Fällen von Prüfungsangst helfen häufig bereits gezielte Entspannungsübungen, die man regelmäßig bereits während der prüfungsfreien Phasen praktiziert und trainiert, damit sie auch in der Spannungssituation abrufbar sind. Es gibt außerdem gute Übungen für einen hilfreichen Umgang mit den blockierenden und angstfördernden Gedanken und Gefühlen, die man wie die Entspannungsübungen trainieren und einüben kann.

Man kann die Prüfungssituation auf der körperlichen, emotionalen und kognitiven Ebene entschärfen und für die eigene Situation hilfreich gestalten.

Immer ist es auch wichtig, eigene Ressourcen zu mobilisieren. Man findet sie im Bewussten- und, wenn man sich ihm öffnen mag, auch im Unbewussten. Eine gute professionelle Begleitung mithilfe von Coaching oder Psychotherapie kann dabei unterstützen.

Heute schon gefühlt?

Wir sagen: „Gefühle kommen und gehen… .“ Und das stimmt! Wir können Gefühle nicht festhalten. Sie begleiten einen bestimmten Augenblick: Zum Beispiel beobachtest du an einem lauen Sommerabend einen hinreißenden Sonnenuntergang. Du bist entspannt, weil Wochenende ist oder du Urlaub hast. Vielleicht betrachtest du darüber hinaus den Sonnenuntergang von einem schönen Ort aus: du sitzt zuhause auf der Terrasse oder machst einen Abendspaziergang oder du bist im Urlaub in den Bergen, am See, am Meer… Du bist tief hingerissen, weil der Moment zu deiner Stimmung und Situation passt.

Es kann aber auch sein, dass dich mitten in der Hektik deines Alltags eine Situation unerwartet anrührt: Du wachst morgens auf und hörst einen Vogel singen. Oder: du stehst ungeduldig an der Kasse, weil du nach der Arbeit müde und hungrig bist. Vor dir stapelt eine Mutter mit einem Kleinkind im Kindersitz des Einkaufswagens ihren Rieseneinkauf aufs Band. Du bist genervt.

Da schaut dich das Kind mit seinen großen Kinderaugen an und lächelt dir vertrauensvoll zu. Deine Ungeduld verfliegt, du lächelst zurück und empfindest so etwas wie den Anflug von Freude.

Es stimmt: Gefühle kommen und gehen! Das gilt für schöne Gefühle wie verliebt sein, berührt- und gerührt-sein, glücklich-sein, quietschvergnügt sein, usw…

Das gilt aber auch für die Gefühle, die wir nicht so sehr mögen: Traurig-sein, ängstlich-sein, entmutigt sein, genervt sein, ungeduldig sein, wütend sein, empfindlich sein usw…

Die schönen Gefühle möchten wir immer haben, die anderen nicht. Und dennoch kann es passieren, dass ungute Gefühle zum Dauerzustand werden. Aus ängstlich sein wird Angst, die einen immer wieder überfällt. Aus traurig sein wird Starrheit, manchmal sogar bis zum gar nichts mehr fühlen. Dann sprechen wir nicht mehr von Gefühlen, sondern von Blockaden oder sogar von krankmachenden seelischen Störungen. Was kann man tun, um wieder seelisch zu gesunden? Wichtig ist: Darüber sprechen und sich Unterstützung holen. Sicher sind da zuerst einmal Angehörige und Freunde erste AnsprechpartnerInnen. Wenn Sie professionelle Hilfe wünschen, ist Psychotherapie nachweisbar ein guter Weg, um wieder ins seelische Gleichgewicht zu kommen und zu lernen, mit belastenden Gefühlen umzugehen, statt von ihnen beherrscht zu werden.

Glücklich scheitern…?

Wie oft sind Sie in Ihrem Leben gescheitert? Häufig, selten oder gar nie? Falls Sie zu denjenigen gehören, die von sich sagen, noch nie gescheitert zu sein: Herzlichen Glückwünsch! Dennoch behaupte ich, das liegt nicht daran, dass Ihnen immer alles gelingt und bei Ihnen niemals etwas schiefgeht. Nein, ich nehme an, Sie sind niemals gescheitert, weil Sie das sogenannte Scheitern nicht als Scheitern bezeichnen. Vielleicht sagen Sie leichthin: “Es hat nicht so geklappt, wie eigentlich geplant.“ Und es gelingt Ihnen, das Nicht-Geklappte loszulassen und sich auf das einzustellen, was möglich ist. Selbst dann, wenn nichts möglich scheint, nehmen Sie dies als Möglichkeit wahr, einfach mal eine Pause zu machen. Sie vertrauen darauf, dass sich nach einer gewissen Zeit wieder eine neue Möglichkeit zeigen wird. Die Redewendung: „Wenn sich eine Tür schließt, öffnen sich fünf andere“, ist für Sie eine Erfahrung, die Sie im Lauf Ihres Lebens immer wieder gemacht haben. Sie betrachten das sogenannte Scheitern als Möglichkeit für eine neue Möglichkeit, die Ihnen wiederum ganz neue Perspektiven eröffnet.

Glücklich, wer glücklich scheitern kann…

Und wer es noch nicht kann: Glücklich scheitern kann man lernen! Es gibt immer die richtige Zeit und die richtige Weise, glücklich zu scheitern und durch die richtige offenstehende Tür zu gehen. Denn glücklich scheitern kann jede und jeder. Lassen Sie sich dazu ermutigen und wenn Sie mögen, auch dabei begleiten!

Ziele erreichen

In Beratung und Therapie geht es immer um Ziele. Denn wer eine Beratung oder Therapie in Anspruch nimmt, möchte etwas positiv verändern. Doch nicht jedes Ziel ist hilfreich und nicht jeder Weg dorthin ist der passende.

Folgende 6 Punkte sind meines Erachtens dabei wichtig:

Ein Ziel ist hilfreich, wenn …

1. Wenn Ihre „Herzensenergie“ drinsteckt.

2. Wenn es realistisch ist: Zum Beispiel ist es nicht realistisch, zu sagen: “Ich will in einem Monat reich sein.“ Aber: Es ist realistisch, das „Reich-Sein-Wollen“ zu planen und es Schritt für Schritt umzusetzen. Vorausgesetzt, es ist mir tatsächlich ein erstes und wichtigstes Anliegen und ich arbeite mit realistischen Teilzielen darauf hin.

3. Wenn es in Ihrer eigenen Kompetenz liegt. Es funktioniert z.B. nicht, zu wollen: Ich will, dass dieser Mann/diese Frau mich liebt. Aber es liegt in Ihrer Kompetenz, zu wollen: Ich gebe von nun an der Liebe mehr Raum in meinem Leben. Was kann/muss ich dafür tun?

4. Wenn Sie fehlerfreundlich sind! Es kann sein, dass Manches auf Ihrem Weg zum Ziel nicht funktioniert. Denn es gibt Situationen und Umstände, auf die Sie keinen Einfluss haben (s.a. Punkt 3). Oder Sie haben sich verkalkuliert. Oder Sie merken, dass das Ziel nicht mehr passt und Sie müssen deshalb das alte Ziel verändern oder sogar verwerfen und ein neues bestimmen.

5. Wenn Sie offen für den Weg zum Ziel sind. Manchmal klappt es mit dem geraden Weg zum Ziel. Doch häufig funktioniert er aus unterschiedlichen Gründen nicht. Dann ist es besser, Um- oder Nebenwege zu gehen oder auch Pausen einzulegen. Man hat immer die Wahl, wenn man offen für die Möglichkeiten bleibt.

6. Wenn Sie dranbleiben!

Die gute Nachricht ist: Wenn tatsächlich die Punkte 1 bis 5 erfüllt sind, dann bleiben Sie dran. Denn: Die Lebensenergie kann strömen, wenn das äußere Tun dem inneren Wollen entspricht.

Die Kraft der Rituale

Rituale sind toll! Denn Rituale sind wirksam und einfach. Rituale geben Halt und Sicherheit. Rituale sind Anker, wenn das Leben mal turbulent und verwirrend ist. Rituale geben eine äußere und gleichzeitig eine innere Struktur. Rituale helfen, präsent und achtsam zu sein und das Leben wertzuschätzen. Rituale sind deshalb so kraftvoll, weil wir keine Energie aufwenden müssen, um zu entscheiden, ob und wie wir sie gestalten. Sie sind selbstverständlich und selbstredend und brauchen nicht hinterfragt zu werden. Man könnte sie auch als eine Art Metapher für das Leben bezeichnen, denn wie das Leben lebt und fließt, ohne dass ich etwas daran ändern kann, so kann ich auch ein von mir gewähltes Ritual als selbstverständliche Lebenszeit in meinen Alltag integrieren.

Zum Beispiel folgendes Morgenritual:

Ich habe eine Zeitlang jeden Morgen in ein kleines Büchlein jeweils eine kurze Notiz zu folgenden Stichworten gemacht:

  • Traumfetzen oder/und erster Gedanke
  • Körpergefühl
  • Stimmung

Wichtig dabei ist: Nichts bewerten, sondern nur wahrnehmen.

Zum Abschluss danke sagen für die Nacht und für den neuen Tag.

Sich selbst liebevoll zulächeln und sich dabei selbst danken.

Zum Beispiel: „Danke, dass du da bist oder Danke, dass es dich gibt.“

Das klingt vielleicht ein wenig merkwürdig, aber es ist ganz wunderbar, so liebevoll begrüßt den Tag zu beginnen.

Dieses kleine Morgenritual kann man natürlich auch nur gedanklich durchführen; man muss es nicht unbedingt aufschreiben. Es hilft aber, zumal anfangs, sehr und verhindert auch, dass man über die einzelnen Stichworte ins Grübeln kommt. Denn einem Ritual tut es gut, wenn man nicht darüber nachdenkt- zumal in dem Moment nicht, wenn man es gerade ausführt.

Herzliche Grüße

Mirta Bach

Fordern als Auf-Fordern

Wenn man die Aufgabe bekäme, eine Liste aller unschönen Begriffe aufzuschreiben, dann wäre er ganz bestimmt dabei- der Begriff: Fordern.

Ein unsympathischer Begriff, wenn wir dabei an all die Forderungen und das Gefordert-Sein denken, mit dem wir es seit unserer Kindheit mal mehr und mal weniger zu tun haben. Es ist in der Regel mit Anstrengung verbunden, wenn ich gefordert bin. Dennoch sind wir auch dankbar für manches Gefordert-Sein, weil es meistens auch Bestätigung und Sinnhaftigkeit für uns und unsere Arbeit mit sich bringt. Dennoch hat es auch die unschöne andere Seite, die häufig als Überforderung und Leistungsdruck erlebt wird. Beides ist krank machend und frustrierend und es braucht manchmal einen längeren Prozess, bis man sich einer unguten Überforderung erfolgreich erwehren kann. Da ist es manchmal gut, wenn ich nicht allein damit bin, sondern wenn ich Unterstützung von Familie, Freunden oder auch professionellen Helfern habe. Ich möchte jedoch heute über ein anderes Fordern sprechen. Wenn ich die Silbe Auf vor das Fordern setze, ist es ein vollkommen anderes Wort, nämlich: Auffordern.

Auffordern ist ein Ermutigen, ein Bestärken. Die Vorsilbe Auf ist eine Bewegungssilbe: Sie weist nach oben. Sie bedeutet Aufrichtung, auf eigene Beine zu stehen kommen, losgehen, etwas anfangen. Wenn ich aufgefordert werde oder aufgefordert bin, dann bin ich auch dazu ermächtigt, etwas zu tun. Da glaubt jemand daran, dass ich etwas hinbekomme.  Daher ist es auch wichtig, wenn ich mich selbst immer mal wieder auffordere, aus meiner Komfortzone herauszukommen, etwas zu wagen, vielleicht auch mal eine gewisse Trägheit zu überwinden und einen Schritt nach vorn zu machen. Dies aber immer mit einem wohlmeinenden und liebevollen Ton und Blick. Hier kommt es tatsächlich auf das Wie an. Schreie ich mich selbst an: „Nun mach mal endlich, sei nicht so bequem! Reiß dich zusammen.“ Oder schaue ich mich wohlmeinend an und nicke mir selbst freundlich und ermutigend zu, so wie ich ein mir anvertrautes Kind ermutigen würde, das mir am Herzen liegt und dessen Leben mir wichtig ist.

Und wenn es dennoch nicht sofort klappt mit der Aufforderung, dann seien Sie nachsichtig mit sich selbst, so wie Sie es auch mit einem Kind sind, das Ihnen lieb und teuer ist. Vielleicht klappt es morgen und wenn nicht, dann ganz bestimmt an einem anderen Tag. Geben Sie nicht auf, sondern seien Sie nachsichtig mit sich, aber bleiben Sie dran!  Und sollte es wirklich nicht klappen, dann liegt es vielleicht auch an dem, zu was Sie sich auffordern wollen. Vielleicht ist das zu hinterfragen…

2. Fordern als Heraus-Fordern

Das Wort „fordern“ löst nicht immer angenehme Gefühle aus… Bereits als Kinder erleben wir, dass wir Forderungen gerecht werden müssen. Oft sind es Forderungen, die das Gegenteil dessen sind, wozu man gerade Lust hat. Kinder müssen ihr Spiel unterbrechen, weil sie schlafen gehen oder essen sollen- oder im späteren Alter, weil sie ihre Hausaufgaben machen müssen, für die Schule lernen, leidige Pflichten im Familienhaushalt erledigen sollen, ihr Kinderzimmer aufräumen usw. Je älter man wird, desto mehr dominieren Forderungen unser Leben. Wir müssen herausfinden, welchen Beruf wir ergreifen wollen, wir müssen unseren Lebensunterhalt verdienen. Wenn wir Familie haben, nicht nur für uns selbst, sondern auch für unseren Nachwuchs sorgen. Wir müssen uns dem Wettbewerb in einer Leistungsgesellschaft stellen; Hinzu kommt, dass auch im persönlichen Bereich Partner*in, Freunde und Familie Forderungen an uns stellen, die wir häufig nur erfüllen können, indem wir uns selbst und unsere Bedürfnisse zurückstellen. Daraus entsteht manchmal das Gefühl „zu kurz zu kommen“.  Es wäre besser und gesünder für uns, wenn wir manche Forderung zurückweisen würden. Doch viele glauben, dass sie jede Forderung, die von außen an sie gestellt wird, erfüllen müssen. Warum viele dies glauben und deshalb manchmal Forderungen erfüllen, die ihnen schaden, ist eine Tatsache, die ich gerne an anderer Stelle thematisieren möchte.

Heute jedoch möchte ich über die positive Seite von „Fordern“ sprechen- nämlich die Forderung als Heraus-Forderung.  Das macht einen entscheidenden Unterschied! Es ist eine Herausforderung, einen konstant stressigen Arbeitsalltag leben zu müssen, der uns an unsere körperlichen, geistigen und psychischen Grenzen bringt. Es ist ebenfalls eine Herausforderung, keine Arbeit zu haben, die dem Leben Struktur und Bedeutung gibt- sei es durch Arbeitslosigkeit oder im Ruhestand. Es ist eine Herausforderung, wenn Brüche im Leben und Krisen zu bewältigen sind; wenn Freundschaften und Liebesbeziehungen; wenn berufliche Ziele oder Lebensvisionen scheitern. Meine Kraft, mein Wille und meine ganze Energie sind gefordert, wenn ich mich diesen und anderen Herausforderungen stelle. Folgende Schritte sind zu bewältigen:

  1. Die Realität anerkennen: Ich darf die Situation nicht leugnen oder vor ihr davonlaufen, sondern muss die Situation so realisieren, wie sie ist.
  2. Die Herausforderungen beschreiben: Hindernisse, Probleme, Schwierigkeiten erkennen und beschreiben.
  3. Die Gefühle anerkennen: Meine unangenehmen Gefühle wahrnehmen und anerkennen: sie dürfen da sein!
  4. Sich selbst wertschätzen: Mich selbst dafür wertschätzen, dass ich mich traue, die eigenen Gefühle von Angst, Hilflosigkeit, Schmerz usw.  anzuerkennen.
  5. Eigene Ressourcen erkennen: Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung, um die Herausforderung anzunehmen? Hier kann die Frage helfen:  Was ist mir bereits in anderen schwierigen Situationen gelungen… Was habe ich gemacht, wer oder was hat mir dabei geholfen?
  6.  Andere Hilfen und Ressourcen vermuten: Wer oder was könnte mir vielleicht helfen? Was tun andere, um sich helfen zu lassen? Sich Hilfe holen.
  7. Einen ersten kleinen Schritt tun: Ich tue zum Beispiel etwas, von dem ich aus anderen Situationen in der Vergangenheit weiß, dass es mir ein wenig hilft; Ich hole mir Unterstützung: eine Freund*in anrufen; Mich z.B. im Internet informieren, welche Anlaufstellen es für meine Herausforderung gibt; Einen Beratungstermin vereinbaren, usw. 

So wird die Herausforderung, die viel von mir fordert, zu einer Chance, an der ich innerlich wachse und reife.

Die drei F: Fördern- Fordern als Heraus-Fordern – Fordern als Auf-Fordern

In den nächsten drei Impulsen denke ich darüber nach,  wie die drei Begriffe Fördern, Fordern als Heraus-Fordern und Fordern als Auf-Fordern mit Lebenszufriedenheit zusammenhängen. Ehrlich gesagt mag ich alle drei Begriffe nicht besonders gern. Ich finde, sie klingen ein wenig nach allzu konsequenter Pädagogik, vielleicht klingen sie sogar ein wenig streng und altbacken. Dennoch kann ich bei genauerem Hinsehen beachtlich viel Positives in ihnen entdecken. Ich bin sogar der Meinung, wir können sie ein Leben lang gut gebrauchen. Schauen wir uns den ersten Begriff etwas genauer an:    

  1. Fördern

Ein Kind braucht Förderung. Es erfährt eine optimale Förderung dann, wenn seine Eltern oder Bezugspersonen es in dem bestätigen, wie es ist und was es tut. Damit zeigen die Bezugspersonen dem Kind: es ist sinnhaft, was du tust und du bist mit deinem ganzen Selbstausdruck richtig! Ein in dieser Weise gut gefördertes Kind baut Vertrauen in sich selbst auf und fühlt sich richtig, weil es in seinem So-sein Anerkennung und Liebe erfährt. Als anerkanntes und geliebtes Kind kann es sich auch selbst anerkennen und lieben. Eine wünschenswerte emotionale Basis für ein ganzes Leben.

Viele Erwachsene leiden unter ihrem Erleben, als Kinder nicht richtig gefördert worden zu sein. Sie haben das Gefühl, mit ihren eigentlichen Begabungen steckengeblieben zu sein und haben bei Vielem, was sie tun den Eindruck, dass es zwar ganz okay ist, aber nicht das wirklich Richtige, worin sie sich authentisch und selbstwirksam erleben.

Das Zeitfenster der großen Bedeutung elterlicher Bestätigung für das psychische Selbsterleben hat sich im Erwachsenenalter geschlossen. Natürlich tut es auch dann noch gut, wenn uns andere für das, was wir tun loben. Doch häufig erleben wir die Komplimente nicht als lange wirksam, sie „verpuffen“ schnell wieder, wenn wir nicht selbst unser Tun und So-sein als ausreichend, liebenswert und gut erleben und uns dies auch selbst entsprechend positiv rückmelden. So bleibt immer eine Rest-Unsicherheit in unserem Selbsterleben. Dies kann soweit gehen, dass wir ständig Bestätigung von außen brauchen, um uns „richtig“ zu fühlen.

Was tun? Hier greift das Konzept des Be-elterns, also für sich selbst eine förderliche Elternschaft zu übernehmen. Und das könnte beispielsweise so aussehen:

Ich schaue mir einen Moment lang selbst wohlwollend zu, wenn ich mich einer Tätigkeit widme- und da kommt es überhaupt nicht darauf an, was ich tue: Ob ich im Beruf mit komplexen und anspruchsvollen Tätigkeiten konfrontiert bin oder für mich selbst, die Familie oder Freunde eine einfache Mahlzeit zubereite- Ich schaue mir einen Moment lang zu und nehme wahr, wie ich bei der Sache bin. Denn das, was ich gerade tue, ist wichtig, weil ich es tue und es ein Moment in meinem Leben ist. Und mein Leben drückt sich in jedem Augenblick durch mich selbst aus. Ich kann mir einen Moment lang zulächeln oder auch zuwinken- so wie die Mutter oder der Vater ihrem Kind zuwinkt, das auf dem Spielplatz die Rutsche heruntergesaust ist und danach schaut, ob die Eltern es bei seinem Tun sehen und es darin anerkennen.

Es fühlt sich häufig erstmal ungewohnt an, sich selbst zuzulächeln, zuzuwinken oder zuzuzwinkern oder auch laut oder im Stillen sich zuzusprechen: du bist richtig in dem, wie du bist und was du tust.

Der Zuspruch tut gut und gleichzeitig stößt das wohlwollende Be-eltern einen Prozess an, der dazu führt, dass ich immer besser erkenne, was mich in meiner inneren Entwicklung fördert und was mich behindert. Doch das ist ein Thema für einen anderen Impuls.

Mit einem Morgenritual gut in den Tag starten

Jede hat sie, jeder nutzt sie täglich, ohne sie dabei ausdrücklich Rituale zu nennen. Manchmal wissen wir gar nicht, dass wir sie haben und bemerken sie erst dann, wenn wir uns keine Zeit für sie nehmen können. Für viele ist die warme Dusche nach dem Aufstehen oder die erste Tasse dampfenden Kaffees ein unverzichtbares Ritual. Wir brauchen sie, um gut in den Tag zu kommen. Es ist daher für das Wohlbefinden wichtig, wenn man weiß, was man braucht, um sich für den Tag zu stärken. Es gibt unzählige Morgenrituale. Eines meiner Morgenrituale dauert nicht länger als ein bis zwei Minuten. Es darf gerne ausprobiert werden und geht so:

Stell dich aufrecht hin, die Arme hängen links und rechts locker herunter. Blicke nach vorn und in die Ferne oder schließe die Augen. Spüre den Kontakt deiner Füße zum Boden und wandere dann mit deiner Aufmerksamkeit von den Füßen aufwärts über Unterschenkel, Knie und Oberschenkel weiter zum Unterbauch. Nun lege deine Hände einige Atemzüge lang übereinandergelegt auf den Bauch und nimm so Kontakt zu deiner Körpermitte auf. Dann löse die Hände wieder und lass die Arme an deiner linken und rechten Seite entlang einfach hängen. Die Fingerspitzen weisen dabei in Richtung Boden. Nun atme tief ein und führe beide Arme mit einer großen Bewegung über den Kopf. Strecke dabei die Arme Richtung Himmel. Wenn du magst, kannst du dabei laut seufzen oder gähnen. Führe die Arme schließlich seitlich wieder nach unten und spüre in deine Fingerspitzen hinein. Lächle und begrüße den neuen Tag mit einem lauten oder stillen „Danke“, „Hallo neuer Tag“ oder ähnlichem. Wenn es für dich passt, kannst du zum Schluss die Hände vor der Brust aneinanderlegen und dich verbeugen.